In dem Beitrag „Abfiff einer Ära“ von Stefan Hermanns im, Der Tagesspiegel, spiegelt Herr Hermanns, meiner Meinung nach, die Ereignisse auf den Punkt, die zu diesem Desaster des Ausscheidens in der FIFA WM Vorrunde 2018 führten. Bei einer genauen Analyse hätte man die Zeichen eines Scheitern erkennen können. Ein lesenswerter Beitrag wie ich finde.

Von Stefan Hermanns
In den vergangenenTagen hatte es einige erfreuliche Zeichen aus der deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegeben. Zum einen von den Spielern, die gegen Schweden unter extremem Druck das frühe Aus bei der WM in Russland gerade noch verhindern konnten. Zum anderen von ihrem Trainer Joachim Löw, der rund um das vorentscheidende Spieldeutlich aufgeräumter, klar und entschlossen wirkte. Viereinhalb Wochen nach Beginn der Vorbereitung schien Löw endlich inTurnierform zu sein.
Seit dem frühen Mittwochabend weiß man: Die Zeichen haben getrogen. In der Vorbereitung war viel von Gier und Hunger die Rede. Aber wenn die Spieler und ihr Trainer davon sprachen, wirkten sie so energisch wie jemand, der gerade ein Fünf-Gänge-Menü hinter sich hat. Das Ziel, in Russland mit der erfolgreichen Titelverteidigung Geschichte zu schreiben, haben die Deutschen krachend verpasst. Das Achtelfinale findet ohne die Deutschen statt.
Auch das ist historisch. Historisch schlecht. Vor 80 Jahren ist die Nationalmannschaft zum letzten und bisher einzigen Mal schon in der ersten Runde einer WM ausgeschieden. Von den jüngsten fünf Weltmeistern sind nun vier in der Vorrunde gescheitert. Löw und seinTeam kannten diese Statistik. Sie haben immer wieder auf diese He rausforderung verwiesen. Die Analyse war richtig; die Schlüsse waren es nicht.
Wie dramatisch das frühe Scheitern ist, wird einem erst richtig bewusst, wenn man sich in den vergangenen Sommer zurückversetzt: Die deutsche U21 gewann die Europameisterschaft, und beim Confed-Cup triumphierte der Weltmeister mit einer B-Mannschaft. Löws Reservoir schien unerschöpflich. Für fast jedePosition konnte er aus zwei, drei oder vier Kandidaten auswählen. Der deutsche Fußball im Sommer 2017 war jung, unkompliziert und erfrischend.
Der deutsche Fußball im Sommer 2018 kommt träge daher, uninspiriert und altbacken. Löw hat sich noch einmal für Erfahrung entschieden, für die Weltmeister von 2014, gestandene Männer um die 30. Menschlich ist das nach den gemeinsamen Erfolgen verständlich – aber es war ein fatales Signal: Wir haben etwas zu verteidigen. Und nicht: Lasst uns noch einmal richtig angreifen! Löw hat die Zeichen zu spät erkannt und zu spät darauf reagiert. So ist am Mittwoch etwas zu Ende gegangen.
Nicht nur die Geschichte einer großen Mannschaft, sondern, wenn man ehrlich ist, auch die Ära Löw. Niemand kann ernsthaft bestreiten, dass er einen positiven Einfluss auf den deutschen Fußball als Ganzes ausgeübt hat. Löw hat als Bundestrainer stilbildend gewirkt, weil er der Bundesliga zu Beginn seiner Amtszeit spielerisch um Längen voraus war. Die Nationalmannschaft hatte anders als viele Klubteams dank ihremTrainer eine klare Identität. Eine Identität zudem, auf die sich das Land verständigen konnte. Doch auch das hat sich, wie die Erdogan-Debatte gezeigt hat, geändert – nicht zuletzt, weil sich das Land verändert hat.
Joachim Löw hat in der Vergangenheit bewiesen, dass er sich nach Rückschlägen neu erfinden kann. Diese Fähigkeit aber hätte er schon vor der WM in Russland gebraucht. Und auch wenn sein Vertrag gerade erst bis 2022 verlängert wurde, ist eine Weiterbeschäftigung ausgeschlossen. Das Einzige, was im Moment für Löw spricht, ist: Es gibt niemanden, den man sich für diese Aufgabe vorstellen kann. Gerade das aber darf kein Argument sein.
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